Die TV-Realityshow „Hochzeit auf den ersten Blick“ hat uns nachdenklich gemacht: Kann eine Hochzeit beim ersten Blind Date wirklich funktionieren?
Der Mythos der Liebe auf den ersten Blick ist nahezu allen Menschen bekannt, doch nur sehr wenige haben die Erfahrung gemacht. Wir glauben daran, dass wir irgendwann einer Person begegnen könnten, in die wir uns auf Anhieb unsterblich verlieben. Idealerweise sieht das unser Gegenüber auch noch genauso – dann steht einer ewigen Verbundenheit nichts im Weg.
Wie viele Menschen in unserem Umfeld kennen wir, denen diese unkomplizierte, romantische Form der Partnerfindung tatsächlich schon einmal passiert ist?
Hängen wir nicht nur einer märchenhaften Vorstellung nach, die uns den Glauben an die Liebe in Zeiten verzweifelter Suche nicht verlieren lässt?
Am Wochenende startete die TV-Realityshow „Hochzeit auf den ersten Blick“ in Deutschland. Zuvor lief die Show in Dänemark und danach sehr erfolgreich bei einem US-amerikanischen Privatsender. Die erste Folge hier in Deutschland erreichte höchste Einschaltquoten von über 2,5 Millionen Zuschauern.
In einer Art Sozialexperiment stehen sich Braut und Bräutigam vor dem Standesbeamten zum ersten Mal gegenüber. „Wie heißt du?“, fragt er sie. Die beiden wirken ergriffen und fröhlich, beide weinen vor lauter Rührung und geben sich das Eheversprechen. Zuversichtlich werden sie in die Flitterwochen nach Island geschickt. Der Zuschauer ist skeptisch, ob die beiden als Paar zurückkehren oder schnellstmöglich die Scheidung einreichen möchten. Das Szenario wirkt albern und doch muss man sich ein bisschen mitfreuen, wenn die Kamera die Braut begleitet, als sie sich das erste Mal im Brautkleid sieht.
Es ist das Spiel mit der Liebe auf den ersten Blick in Extremform. Ausgesucht und zusammengeführt wurden die Paare durch eine Analyse im Vorfeld. Wissenschaftler verglichen die Charaktere der beiden in Kategorien wie Dominanz, Treue, Einfühlungsvermögen etc. Die größten Übereinstimmungen wurden „gematcht“ und der Termin auf dem Standesamt vereinbart.
Es überrascht nicht, dass das Konzept der Serie auf geteilte Meinungen trifft. Es hat ein wenig den Charakter von Zwangsheirat und bedient ganz und gar nicht unseren romantischen Anspruch an die Liebe auf den ersten Blick. Vielleicht wollen wir uns nicht mit der Vorstellung begnügen, dass Harmonie und Liebe wissenschaftlich errechenbar ist. Lieber glauben wir an die Magie des Moments und schicksalhafte Vorbestimmung, wenn es um den Partner fürs Leben geht.
Dabei gibt es Beobachtungen, die ebenfalls besagen, dass es durchaus unbewusste Prozesse in uns gibt, die dafür sorgen, dass wir uns sofort in Menschen verlieben. So kann es zum Beispiel sein, dass wir uns in unserer Gegenüber verlieben, weil es uns besonders ähnlich sieht. Das hat ausnahmsweise nichts mit Selbstverliebtheit zu tun. Die eigenen Gesichtszüge und Proportionen sind uns am vertrautesten, sodass wir uns direkt zu jemandem hingezogen fühlen, der eine ähnliche Kopf- oder Augenformen hat. Mit etwas Glück reagiert der Angebetete auf die gleichen Reize und verliebt sich ebenfalls auf der Stelle!
Ein anderer visueller Faktor kann die Ähnlichkeit mit Menschen sein, zu denen wir sehr früh eine enge Bindung hatten (zum Beispiel die Eltern oder selbst die Kindergärtnerin). Das klingt befremdlich, ist aber ein logischer unterbewusster Prozess. Keine Angst: Das heißt nicht, dass wir eigentlich in unseren Vater oder Onkel verliebt sind. Es sind lediglich die vertrauten Gesichtszüge…
Nun gibt es trotzdem unzählige Paare, bei denen keiner der beiden visuellen Punkte zutrifft. Die Faktoren, die dann entscheidend sind, kann man nicht sehen. Es geht um Lebensstil, Zukunftsaussichten, Wert- und Moralvorstellungen, Humor und Ansprüche an eine Partnerschaft. Um herauszufinden, ob man in diesen wichtigen Lebensfragen zueinander passt, brauchen die meisten Paare Zeit.
Oft kommen diese einschlägigen Themen in den ersten hitzigen Beziehungswochen gar nicht auf den Tisch. Oder man verliebt sich erst dann in jemanden, weil man festgestellt hat, dass er oder sie die gleichen Vorstellungen teilt.
Der „Liebe-auf-den-ersten-Blick“-Zug ist dann allerdings schon abgefahren. Die Wissenschaftler, die im Vorfeld für die TV-Produktion gearbeitet haben, leisteten deshalb die Vorarbeit und verglichen die Einstellung der Kandidaten.
Eigentlich handelt es sich also auch nicht mehr um Liebe auf den ersten Blick, die Kennenlernphase hat nur jemand anders übernommen. Es bleibt spannend, wie das Experiment bei den Paaren ausgeht. Insgesamt sind fünf Folgen geplant, in der zehn Menschen verheiratet werden. Der Gedanke bleibt befremdlich, wir wollen die Entscheidungsgewalt über unser Liebesleben nicht gern an Dritte abgeben.
Egal, ob visuelle Anziehungskraft oder nicht: Im Endeffekt zählt nicht, wie schnell sich Paare ineinander verlieben, sondern wie fundiert die Gefühle füreinander sind. Es fällt schwer zu glauben, dass diese Basis von Wissenschaftlern künstlich durch den Vergleich einiger Faktoren erschaffen werden kann.
Darüber hinaus sollte sich jeder die Frage stellen, ob es nicht vielleicht auch der Sinn der Partnerschaft ist, sich bewusst füreinander zu entscheiden, nachdem gemeinsame Erlebnisse und Situationen für emotionale Tiefe gesorgt haben. Diesen Umweg zu gehen, kostet natürlich Nerven und meistens ein paar Tränen. Doch sind wir einmal ehrlich: Wenn du vor dem Traualtar stehst, möchtest du doch wissen, warum du genau diesen Menschen heiratest – trotz oder genau weil es eben auch die Unterschiede gibt, die eure Liebe so spannend macht.